Verdon im Herbst und ein Dorf im Wasser

Das Frosch-Team war auf meinen großen Wunsch hin noch mal im Süden unterwegs. Verdon im Herbst, das wollte ich unbedingt mal erleben. Ich denke, dass das nicht das letzte Mal war.

Indian Summer am Verdon, hab ich gedacht. Alles bunt, hab ich gedacht. Nun, nicht ganz. Es ist noch sehr grün, mit vereinzelten Farbtupfern. Es ist im Oktober noch richtig warm dort. Also, in diesem Jahr besonders, sagte uns Monsieur Iwanowski, der seit 30 Jahren in der Gegend lebt. Nicht dass soviel Sonne dort in der Haute Provence ungewöhnlich wäre. Dass man jedoch um diese Jahreszeit bei 25 Grad mit T-Shirt und kurzen Hosen Gratwanderungen macht, am Kletterfelsen in der Sonne gebacken wird, am See sitzt und aufm Fahrrad schwitzt, das ist wohl etwas Besonderes.

Umso schöner, dass wir dieses Besondere, zusammen mit zwei Freunden, erleben konnten. Es war eine der schönsten von den vielen Wochen, die ich schon am Verdon verbracht habe. Weil wir so viele geile Touren machen konnten. Im Sommer ist es mir nämlich schlicht und einfach zu heiß, große Wanderungen in der knallenden Sonne zu machen. Und so habe ich nach all den Jahren zum ersten Mal die Tour gemacht, die ich schon immer mal machen wollte: GANZ DA HOCH.

Da oben auf diese Felskante, auf den Grat, von dem man fast 800 Meter tief in die Schlucht blicken kann.
Irgendwo unten im Wald sind wir eingestiegen, ein steiler Pfad, eine gute Stunde lang rauf, rauf, rauf. Und schließlich:

Erste Pause. Schon seeehr hoch. Aber es geht noch höher. Hinter der grandiosen Kulisse von Saint Maurin erhebt sich der 1260 Meter hohe Col de Plein Vue. Volle Sicht, klar. In den Fluss, auf den See, und die Geier von oben. Wer da sitzt, vergisst viel dummes Zeug, mit dem man sich sonst so beschäftigt. Wer da oben sitzt, denkt und fühlt intensiver. Und grundsätzlicher.

Und wenn dann am Nachmittag die Thermik stimmt, weil die Sonne den Fels aufgeheizt hat, dann kommen die Geier aus ihren Horsten in den riesigen Felswänden – und ziehen ihre Kreise.

Geier in der Verdonschlucht, © by Silke Wünsch

Plein Vue, Gorges du Verdon, © by Silke WünschZum ersten Mal habe ich dann auch mal gesehen, was da eigentlich im Hinterland los ist. Nichts eigentlich. Also, nein, nicht wirklich nichts. Nur Natur. Also, einfach nur ein toller Blick auf Wald und Berge. Mehr gibt’s da auch tatsächlich nicht. Muss ja auch gar nicht.

Das Hnterland am Rive droit, © by Silke Wünsch

Irgendwann wird dann doch mal Abend. Und irgendwie sind die Wege dann doch nicht ganz klar. Denn da oben gibt es keinen wirklichen Weg mehr, weil man die ganze Zeit am Grat entlang geht. Aber irgendwie muss man da runter. Querfeldein. Tierpfaden folgen. Einfach absteigen. Geht. Aber nicht ohne einen letzten Blick auf den Lac de St. Croix.

Der Lac de St. Croix vor Sonnenuntergang, © by Silke Wünsch

Und hier noch eine andere Geschichte

Der Lac de Sainte Croix. Den gibt’s erst seit 40 Jahren. Vorher war da unten ein Tal, fruchtbar, durchzogen von Obstwiesen, Weiden und Äckern. Ein Dorf lebte auch dort unten, es hieß Les Salles-sur-Verdon. Der Verdon selber floss mit doch recht beachtlicher Breite durch das Tal.

Quelle: http://lssv.free.fr/LSnavigt.htmlBis die französische Elektrizitätsgesellschaft kam, im Südwesten eine Staumauer baute, damit den Verdon bändigte und innerhalb von zwei Jahren das Tal flutete. Les Salles wurde gesprengt, der letzte Einwohner verließ sein Haus erst, als das Wasser sein Haus bereits umringt hatte. Es war der Assistent des Bürgermeisters, Monsieur Signoret, der mit seinem stillen Widerstand in die Geschichte des Dorfes eingegangen ist. Er und ein paar andere verließen die Ruinen ihres alten Dorfes erst, als die Polizei anrückte. Diese und viele andere Geschichten aus dem alten Les Salles-sur-Verdon findet man auf dieser Webseite. Da haben sich ein paar Leute sehr viel Mühe gegeben, die Geschichte ihres Dorfes in Fotos zu dokumentieren. Sollte man sich mal angucken. Seit ich etwas tiefer in die Geschichte von Les Salles eingetaucht bin, sehe ich den See auch mit anderen Augen. Klar, ich wusste schon lange, dass das alte Les Salles im Lac versunken ist. Weiter oben wurde es neu aufgebaut und sieht für meine Touristenaugen ganz nett aus. Aber über die menschlichen Tragödien, die dort genau so geschehen sind wie etwa im Tal des Yangtse oder bei mir um die Ecke im Braunkohletagebau Garzweiler II, habe ich noch nie so nachgedacht.

Auch wenn ich sage, dass ich am Verdon jeden Stein kenne, muss ich natürlich zugeben, dass das leicht übertrieben ist. Denn erstens gibt es dort seeeehr viele Steine und zweitens gibt es für mich jedes Mal, wenn ich dort bin, Neues zu entdecken. Auch wenn es traurige Geschichten sind.

5 Gedanken zu „Verdon im Herbst und ein Dorf im Wasser

  1. Hi Silke! Wenn ich das lese, merke ich mal wieder, wie alt ich schon bin. Wir waren mit dem Wohnwagen an dem See, als er gerade gefüllt wurde. (Habe ich vielleicht sogar noch auf Super-8.) 40 Jahre her – oh Mann! Wenn man damals ins Wasser wollte, war ein heftiger Abstieg vom Campingplatz aus angesagt.

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